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Therapiekonzept

 
Ausgehend von der antiken Vier-Elemente-Lehre des Naturphilosophen Empedokles von Agrigent (5. Jh. v. Chr.), der die vier Elemente Erde, Feuer, Wasser und Luft als Urgrund des Seins ansah,1 entwickelte der Arzt Hippokrates von Kos (5. / 4. Jh. v. Chr.) die Vier-Säfte-Lehre. Er ging davon aus, dass die vier Säfte Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle, aus denen der Mensch bestehe, in einem ausgewogenen Gleichgewicht stehen müsse, damit der Mensch gesund sei. Wurde ein Mensch krank, so ging man davon aus, dass sich seine Säfte im Ungleichgewicht befanden.2  
 
Der erste Schritt, das Gleichgewicht der vier Säfte herzustellen und damit zur Heilung zu gelangen, erfolgte über die Ausleitung von schadhaften Stoffen. Außerdem behandelte man eine Erkrankung in der Weise, dass man gemäß dem Prinzip ‚contraria contrariis’ ein dem Merkmal der Krankheit entgegengesetzt wirkendes Mittel gab. Wenn also eine Krankheit auf Grund einer Gleichgewichtsverschiebung hin zu den Qualitäten kalt und trocken entstanden war, so erfolgte die Therapie durch ein Mittel mit den Qualitäten warm und feucht. Konkret bedeutet das, wenn eine Infektion wie beispielsweise eine Bronchitis durch Kälte entstand und zu übermäßiger Schleimproduktion führte, dann wurde sie mit wärmenden und trocknenden Mitteln behandelt und geheilt.
 
Auch in den heilkundlichen Werken Physica (Heilkraft der Natur) und Causae et Curae (Ursachen und Behandlung von Krankheiten) der Hildegard von Bingen finden sich die humoralpathologischen Prinzipien bei der Erklärung des Krankheits- und Therapiegeschehens. Hildegard modifizierte und ergänzte die Humoralpathologie des Hippokrates und des Arztes der griechischen Antike Galen (2. Jh. n. Chr.) jedoch um eine psychisch-ganzheitliche4 beziehungsweise um eine kosmologische Komponente.5
 
Der Kosmische Mensch

 

Hildegard sah den Menschen zentriert in Mitten des Kosmos, der durch Actio und Reactio aller Sphären ein dynamisches Gleichgewicht hält. Über allem aber steht Gott. Kein strafender, sondern ein liebender, fürsorglicher Gott. Hildegard beschreibt in dem Buch Liber Vitae Meritorum (Der Mensch in der Verantwortung) 35 Tugenden- und Lasterpaare, aus denen der Hildegard-Forscher Dr. Strehlow die Psychotherapie der Heiligen Hildegard erarbeitet hat. Demnach ist oder wird der Mensch gesund, der bestrebt ist, tugendhaft zu leben. Derjenige aber, der lasterhaft lebt, setzt sich vielen Krankheit bringenden Gefahren aus, denn Leib und Seele werden als untrennbar miteinander verbunden angesehen.

 

 
 
Die Hildegard-Heilkunde strebt eine Harmonisierung von Körper, Geist und Seele an. Es geht um die Behandlung bereits bestehender Erkrankungen, aber auch um Prävention. Sie basiert auf folgenden Elementen:
 
· Ausleitung  
· Heilmittel aus der Natur
· Ernährung und Lebensweise
 
 
Ausleitung:
 
Gemäß der Humoralpathologie war ein Gleichgewicht der vier Säfte Blut, Schleim, Schwarze und gelbe Galle Voraussetzung für die Gesundheit. Gerieten diese Säfte in ein Ungleichgewicht, beispielsweise durch eine maßlose Lebensweise und Ernährung oder auch durch Stress, so entstanden Krankheiten. 
 
Um bereits entstandene Schlackenstoffe aus dem Körper zu entfernen, kannte Hildegard verschiedene Ausleitungsverfahren:
 
· Aderlass
· Blutiges Schröpfen
· Heilfasten
· Sauna
· Ausleitende Heilbäder
 
 
o   Aderlass
 
Die Heilkundigen vergangener Jahrhunderte sahen Aderlass und auch blutiges Schröpfen als geeignete Mittel an, den Körper von krankheitsverursachenden Stoffen und Säften zu befreien und ein gesundes Gleichgewicht wieder herzustellen. Reichten diätetische Maßnahmen zur Genesung nicht aus, bediente man sich der Ausleitungsverfahren. Auch heute noch werden die Methoden in der Hildegard-Medizin angewendet. Es gibt zwar bisher keine wissenschaftlichen Untersuchungen, die die Effekte belegen und erklären könnten, aber wir verfügen über eine Vielzahl an Erfahrungsberichten, die in Jahrzehnten gesammelt wurden. Die Beobachtung von Krankheits- und Genesungsgeschehen waren in den 2300 Jahren der Humoralpathologie maßgeblicher Faktor, um entsprechende Rückschlüsse auf die Entstehung von Krankheiten und deren Heilungsgeschehen ziehen zu können und Krankheits- und Therapiekonzepte zu entwickeln. Die Beobachtung ist auch in der heutigen Medizin ein wichtiges Element. Beispielsweise beobachtete man, dass ß-Blocker, die zur Behandlung von Bluthochdruck entwickelt worden waren, zahlreichen Menschen bei Migräne halfen, aber man konnte lange Zeit nicht den Wirkmechanismus aufklären. 

Man geht davon aus, dass der Aderlass das körpereigene Selbstheilungssystem anregen kann, indem möglicherweise Hypothalamus, Hypophyse und Nebennierenrinde aktiviert werden. Der Hypothalamus ist ein Teil des Zwischenhirns und sitzt direkt über der Hypophyse. Er stellt das wichtigste Steuerzentrum des vegetativen Nervensystems dar.

Er ist u. a. für die Steuerung von Körpertemperatur und Blutdruck zuständig. Über ihn werden Nahrungs- und Wasseraufnahme reguliert, der Schlaf- Wachrhythmus sowie das Sexual- und Fortpflanzungsverhalten gesteuert. Zahlreiche im Hypothalamus gebildete Hormone beeinflussen in der Hypophyse die Ausschüttung weiterer Hormone und nehmen so Einfluss auf  die Funktion von Schilddrüse, Nebennierenrinde, Eierstöcke sowie die Milchbildung in der Stillzeit. In der erbsengroßen Hypophyse, auch Hirnanhangsdrüse genannt, werden außerdem Endorphine, das sind körpereigene schmerzlindernde Stoffe, gebildet. Ebenfalls wird in der Hypophyse Oxytocin gebildet, das beim Geburtsvorgang wehenauslösend wirkt. Es kann ferner den Blutdruck und den Kortisonspiegel beeinflussen, die Wundheilung fördern und beruhigend wirken. 

Möglicherweise können diese Zusammenhänge zwischen Hypothalamus, Hypophyse und Nebennierenrinde zahlreiche beobachtete Reaktionen nach einem Aderlass erklären. So kann sich beispielsweise eine Regulation des Blutdrucks einstellen. PatientInnen berichten beispielsweise von einem Wohlbefinden, vom Nachlassen ihrer Gelenkschmerzen, Verbesserung von Schlafstörungen oder depressiven Verstimmungen sowie der Linderung von Menstruationsbeschwerden und vieles mehr.

Wie wird nun ein Aderlass durchgeführt? Jeden Monat gibt es eine bestimmte Aderlass-Zeit. Das sind sechs Tage der abnehmenden Mondphase, vom Vollmondtag an gerechnet. Das hört sich vielleicht ein bisschen esoterisch an, man bedenke aber welch großen Einfluss der Mond auf die Erde hat. So sind Ebbe und Flut vom Mond abhängig. Zur richtigen Mondphase geschlagenes Bauholz ist absolut resistent gegen Ungeziefer und verzieht sich auch nach Jahren nicht durch Luftfeuchtigkeit. Auch Stradivari hat mondgeschlegelte Haselfichte für seine legendären Instrumente verwendet. Das Holz wird in der abnehmenden Mondphase geschlagen, weil sich dann die Säfte zurückziehen und sie vom Holz abgegeben werden.

Beim Aderlass geht es ebenfalls darum, schlechte Säfte aus dem Körper fließen zu lassen, um ihm die Gelegenheit zu geben, neue gute Säfte zu produzieren und schließlich ein gesundes Gleichgewicht im Körper herzustellen. Die Patientin oder der Patient legt sich gemütlich auf die Behandlungsliege. Es wird eine Kanüle in eine Vene in der Armbeuge gesetzt, so wie es beim Blutabnehmen auch der Fall ist. Das Blut wird jedoch nicht mittels Vakuum herausgezogen, sondern man lässt es über einen sterilen Schlauch in ein kleines Gefäß laufen. Zunächst zeigt sich sehr dunkles Blut, zuweilen ist es richtig schwarz. Schließlich erfolgt ein Farbumschlag zu hellrot. Dann wird der Aderlass sofort beendet. Das Phänomen des Farbumschlags konnte noch nicht wissenschaftlich erklärt werden. Möglicherweise spielen unterschiedliche Strömungsgeschwindigkeiten des dunklen und des hellen Blutes eine Rolle. Hildegard hat das dunkle Blut als ein von Schlackenstoffen behaftetes Blut beschrieben, während das helle Blut reineres Blut sei. 

Es werden bis zu 200 ml Blut abgenommen. Das ist eine recht geringe Menge, wenn man bedenkt, dass man beim Blutspenden immer 500 ml abgibt. Die tatsächlich abgegebene Menge beim Aderlass ist sehr individuell und hängt davon ab, wann der Farbumschlag erreicht ist. Es können zwischen 30 und 200 ml sein. Unabhängig von der Menge können sich mehr oder weniger ausgeprägte Effekte zeigen. Damit der Körper sich mit dem Aderlass auseinandersetzen und den größtmöglichen Nutzen daraus ziehen kann, sollte man am Aderlass-Tag Ruhe halten und drei Tage lang gewisse Prinzipien bei der Ernährung beachten. Einen Aderlass lässt man ein- bis zwei mal pro Jahr durchführen. Der Aderlass stellt eine sehr gute Möglichkeit dar, einen Umschwung hervorzurufen indem das körpereigene Selbstheilungssystem angeregt wird. Darüber hinaus ist es aber wichtig, sich um eine gesunde Lebensweise zu bemühen, damit man einen länger anhaltenden Nutzen vom Aderlass hat. 

o   Blutiges Schröpfen
 
Das Schröpfen stellt eine Jahrtausende alte Ausleitungsmethode dar. Man kannte sie bereits im 4. Jahrtausend vor Chr. in Mesopotamien. Sie ist nicht nur Teil der Traditionellen Europäischen, sondern auch der chinesischen Medizin. Auch das Schröpfen dient der Selbstregulation des Körpers. Man unterscheidet das blutige und das unblutige Schröpfen. 

Beim blutigen Schröpfen soll durch Entziehen von Blut bzw. Schleim aus dem Bindegewebe – also nicht direkt aus dem Blutkreislauf, wie es beim Aderlass der Fall ist – das körpereigene Selbstheilungssystem angeregt werden. Auch hier können wir auf zahlreiche Beobachtungen und auf Berichte Betroffener zurückgreifen. Häufig berichten PatientInnen direkt nach der Behandlung von einem Gefühl des Wohlbefindens. Es wird eine Erleichterung bei Bronchialbeschwerden und asthmatischen Zuständen wahrgenommen. Ebenso wird häufig von einer Schmerzlinderung berichtet, seien sie durch rheumatische Beschwerden, Schulter-, Rücken- oder Knieleiden verursacht. Ebenso können sich in beeindruckender Weise depressive Verstimmungen, Müdigkeitszustände und die Auswirkungen eines grippalen Infektes spontan bessern. Ferner wird eine Besserung von Kopfschmerzen bzw. Migräne beobachtet. 

Was passiert beim blutigen Schröpfen? Bestimmte Hautareale, sogenannte Headsche Zonen stehen mit inneren Organen in Verbindung. Es handelt sich um Reflexzonen, in denen Veränderungen feststellbar sind, wenn das dazu gehörige Organ erkrankt, oder seine Funktion gestört ist. Stellt man die Ordnung des Hautareals durch das Schröpfen wieder her, so kann auch eine Tiefenwirkung über sogenannte Reflexbögen erfolgen und eine Ordnung im dazu gehörenden Organbereich herstellen. An den Headschen Zonen ist häufig eine Belastung des Organs feststellbar, lange bevor es zu einem Organschaden kommt. 

Wie geht man beim blutigen Schröpfen vor? Zunächst werden die entsprechenden Reflexzonen rechts und links der Wirbelsäule desinfiziert und mit einer dünnen, sterilen Kanüle ein wenig angeritzt. Anschließend werden sterile Einmal-Schröpfköpfe per Vakuumpumpe auf den Bereichen befestigt. Diese lässt man eine bestimmte Zeit vor Ort, um anschließend den angefüllten Schröpfkopf  abzunehmen. Die kleine Wunde wird mit einem Pflaster mit Veilchencreme  versorgt. Wie viel Schleim dabei heraustritt, ist individuell. Entsprechend gestalten sich die Zeitabstände zum wiederholten Schröpfen. Man kann nach 4 Wochen das blutige Schröpfen wiederholen. Die Abstände können sich auf 3 bis 6 Monate verlängern. Das hängt vom Genesungsfortschritt ab. 

Beim unblutigen Schröpfen wird die Haut nicht verletzt, sondern es kommt im Störfeld zu einer Mehrdurchblutung des Hautareals, wodurch regulierende Vorgänge nicht nur im Hautareal, sondern auch im dazugehörenden Organbereich aktiviert werden. In den Beinen soll dadurch der Lymphfluss angeregt werden. 
 
o  Heilfasten

Das Heilfasten nach Hildegard diente der Entschlackung, wobei die anfallenden Schlacken über die Leber abgebaut und ausgeschieden werden sollten. Heilfasten stellte aber keine 'Nulldiät' dar; vielmehr galt es, während des Fastens wenig Dinkel und Gemüse in Form einer Fastenbrühe einzunehmen. Eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme musste gewährleistet sein. 

 

o  Sauna

Auch das Ausschwitzen von Schlacken ist ein Jahrtausende altes Ausleitungsverfahren. Dabei achtete man darauf, zwischen den Saunagängen angemessene Ruhephasen einzulegen und ausreichend Flüssigkeit zu sich zu nehmen.

 

o  Medizinische Bäder
 
Medizinische Bäder mit entsprechenden pflanzlichen Zusätzen trugen zu einer Linderung unterschiedlicher Leiden bei.
 
 
 
Heilmittel der Natur:
 
In der Physica, der 'Heilkraft der Natur', beschrieb Hildegard eine Fülle von Heilmitteln. In acht Büchern hat sie die Heilkraft von ca. 500 Mitteln dargelegt, wozu nicht nur Pflanzen und Bäume gehörten, sondern auch Tiere, Edelsteine und Metalle.7 Bemerkenswert ist, dass über 40 Heilmittel nur in der Physica beschrieben wurden, also nicht aus antiken oder mittelalterlichen Werken, die es bereits vor Hildegards Zeit gab, übernommen worden sein konnten. Dazu gehören u. a. Zinnkraut, Lungenkraut und Mariendistel.8
 
Hildegard hat die Mittel aus der Natur nicht analysiert. Sie beschrieb die Heilkraft mit der 'Subtilität', der Feinstofflichkeit. Das kann man sich so vorstellen, dass beispielsweise jede Pflanze nicht nur einen Hauptwirkstoff enthält, sondern eine Fülle, eventuell tausende Begleitstoffe mit sich führt. Ist nur einer von diesen Stoffen schädlich, so ist die ganze Pflanze dem Menschen nicht nützlich. 
 
 
Dinkel
Galgant 
Die Galgantwurzel gehörte zu den wichtigsten Hildegardheilmitteln. Der echte Galgant (Alpinia officinarum), bereits vor Hildegards Zeiten in der chinesischen, der indischen und der arabischen Medizin fester Bestandteil der angewandten Heilkunde, wurde bei Hildegard gegen infektbedingtes Fieber, bei Rückenschmerzen sowie bei Herzbeschwerden eingesetzt. Hildegard verwendete ihn auch, um Schleimstoffe im Blut zu reduzieren. Die Galgantwurzel enthält ätherisches Öl, daneben auch Scharfstoffe und Flavonabkömmlinge. Sie weist krampflösende, entzündungshemmende und antibakterielle Eigenschaften auf.
 
 
 
    
 
Wasserlinse
     Wasserlinse
Schon der griechische Arzt Dioskurides (1.Jh. n. Chr.) kannte die Wasserlinse (Lemna minor) zur Behandlung aller Entzündungen, entzündlichen Ekzemen und der Gicht. Dazu empfahl er, Kompressen mit Wasserlinse aufzulegen. Hildegard von Bingen riet von der inneren Anwendung der Wasserlinse als Monopräparat ab. Werde sie jedoch mit anderen Heilpflanzen gemischt, so verringere sie schädliche Stoffe im Körper. Ein Elixier aus Wasserlinse, Ackersenf, Zimt, Labkraut und anderen Heilpflanzen nutzte Hildegard, um Infektionen vorzubeugen. Wasserlinse enthält vornehmlich Flavanoide, daneben auch Fettsäuren und deren Abkömmlinge.10                           
 
 
 
 
 
 
Veilchen
     Veilchen
Das wohlriechende Veilchen (Viola odorata) wurde bereits in der Antike zu Magenumschlägen und als Kompresse bei Augenentzündungen genutzt. Hildegard beschrieb die Anwendung verschiedener Veilchenzubereitungen. So wurde die Pflanze in Form einer Creme zur Behandlung von Wunden, Geschwüren,Geschwulsten, gutartigen Tumoren sowie Altersflecken genutzt. Hildegard erläuterte sogar die Verwendung der Veilchencreme bei Krebserkrankungen. Veilchenöl diente der Behandlung von Augenleiden. Darüber hinaus empfahl Hildegard einen Veilchenwein gegen Lungenerkrankungen. Die Pflanze, vor allem die Blüten, aber auch das Kraut und die Blätter enthalten ätherisches Öl, Flavanoide, Schleimstoffe, Salicylsäuremethylester und das Alkaloid Violin.11
 
 
 
 

Ernährung und Lebensweise:
 
Im Mittelalter gab es zahlreiche 'Regimen Sanitatis'. Das waren Regeln, die aufgestellt wurden, um die Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen. Neben einer vernünftigen Lebensweise, die sich u.a. durch einen gesunden Schlaf-Wachrhythmus, einen sinnvollen Wechsel von Arbeits-und Ruhephasen, Vermeiden von Dauerstress sowie regelmäßiger Bewegung auszeichnete, spielte auch die Ernährung eine wichtige Rolle.12 

In der diätetischen Therapie der Hildegard von Bingen, die keine Diät im heutigen Sinne, sondern eine andere, gesunde Art der Ernährung darstellt, galt es, die Gesundheit durch die Basisnahrungsmittel Dinkel, frisches Obst und Gemüse, ergänzt durch maßvollen Einsatz von Fleisch, Fisch und Milch bzw. Milchprodukten zu erhalten oder wiederzuerlangen.13
 
 
Dinkel
      Dinkel
In Deutschland erfolgte der erste Anbau des Dinkels (Trticum spelta) zwischen 4400 und 3500 v. Chr. im Jungneolithikum und zwar in Süd- und Norddeutschland. Dinkel gehört, wie andere Getreidesorten auch, zur Pflanzenfamilie der Süßgräser (Poaceae). Im Gegensatz zu Weizenkörnern werden Dinkelkörner von drei Spelzen fest umschlossen. Darum ist nach dem Dreschen ein weiterer Mahlgang notwendig, um die Körner zu erhalten. Die feste Spelzhülle hat aber auch den Vorteil, dass Dinkel gegenüber Umwelteinflüssen sehr widerstandsfähig ist.14
Hildegard von Bingen sah den Dinkel nicht nur als das beste Nahrungsmittel an, sondern sie lobte die Feldfrucht als Universalheilmittel, das bei konsequenter Anwendung allen Kranken zur Genesung verhalf.
 
 
Zum Dinkel, den sie gemäß den humoralpathologischen Prinzipien als warm und kräftig bezeichnete, schrieb Hildegard:
 
„Und wenn einer so krank ist, daß er vor Krankheit nicht essen kann, dann nimm die ganzen Körner des Dinkels und koche sie in Wasser, unter Beigabe von Fett oder Eidotter, so daß man ihn wegen des besseren Geschmacks gern essen kann, und gib das dem Kranken zu essen, und es heilt ihn innerlich wie eine gute und gesunde Salbe.“15 

Hildegard sprach von der 'Viriditas’, der Grünkraft. Damit beschrieb sie die jeder Pflanze von Natur aus innewohnende Wirkkraft. Diese war in der Lage, dem menschlichen Körper die Grundbausteine zu liefern, die er zur Produktion von körpereigenen wichtigen Stoffen benötigte und um seine Zellen und Zellbestandteile optimal zu regenerieren. Hildegard warnte davor, Auszugsmehle zum Brotbacken zu verwenden, da es den Körper schwäche und kraftloser werden ließe.16
 

Dinkel und Weizen verfügen nicht nur über primäre Inhaltsstoffe wie Fett Eiweiß und Kohlenhydrate, sondern sie weisen ebenso zahlreiche sekundäre Inhaltsstoffe auf, für die inzwischen vielfältige heilende und vorbeugende Wirkungsweisen nachgewiesen wurden. So wirken sie beispielsweise antioxidativ, krebsvorbeugend, immunstimulierend, entzündungshemmend, antimikrobiell, fungizid und viruzid. Ferner können sie den Blutzuckerspiegel und den Cholesterinspiegel positiv beeinflussen.17 

Das Problem beim heutigen Weizen ist aber, dass Weizen seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts massiv hochgezüchtet wird mit dem Ziel einer noch besseren Backfähigkeit und eines noch höheren Ertrags. Weltweit existieren inzwischen ca. 40.000 Weizensorten. Sie alle weisen eine züchterisch veränderte Glutenzusammensetzung auf, wodurch es zu massiven weizeninduzierten Erkrankungen kommen kann. Ferner ist der Gehalt an natürlicherweise vorhandenem Fraßschutzmittel (sie werden mit ATI abgekürzt) auf ein Vielfaches hineingezüchtet worden, wodurch das darmassoziierte Immunsystem völlig überfordert werden kann sodass schwerwiegende Erkrankungen, auch sogenannte Autoimmunerkrankungen ausgelöst werden können. Dazu gehören beispielsweise Allergie, Zöliakie sowie Nichtzöliakie-Nichtweizenallergie-Weizensensitivität, das mit NCGS abgekürzt wird. Hinter NCGS verbirgt sich ein großer Komplex an massiven Erkrankungen, die durch die hohe Konzentration des Insektenfraßschutzmittels (ATI) im hochgezüchteten Weizen entstehen können. Es können Magen-Darmbeschwerden, Asthma, Hautleiden, Blutarmut, Gewichtsverlust, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie Kopfschmerzen oder Müdigkeit auftreten. Darüber hinaus können weitere schwerwiegende Erkrankungen die Folge sein. So kann Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Multiple Sklerose oder Rheumatoide Arthritis auftreten, die alle als Autoimmunerkrankungen angesehen werden. Bereits bestehende Entzündungsprozesse können verstärkt werden. Ferner kann es zu peripheren Neuropathien, Depressionen, Angststörungen und Halluzinationen kommen. Einige Studien belegen inzwischen einen Zusammenhang zwischen der Entstehung oder Verstärkung von Schizophrenie und Autismus mit Weizenkonsum.18

Hier sollte überdacht werden, ob der Begriff der Autoimmunkrankheit an dieser Stelle richtig verwendet wird. Dem Immunsystem, eines der kompliziertesten, körpereigenen Schutzsysteme, obliegt die Aufgabe, körperfremde Stoffe zu erkennen und im Bedarfsfall Abwehrreaktionen zu aktivieren, um einen Schaden vom Körper abzuwenden. Autoimmunerkrankungen bezeichnet man auch als Autoaggressionskrankheiten. Das bedeutet, dass der Körper plötzlich gegen sich selber ‘rebelliert’ und beginnt, zerstörerisch tätig zu werden. Laut Lexikon der Biologie kommt es durch den Zusammenbruch der Immuntoleranz gegenüber körpereigenen Stoffen zu einer spezifischen, erworbenen Immunantwort gegen Autoantigene. Eine erworbene Immunantwort impliziert, dass ein Ereignis eingetreten ist, das den Körper zu einer entsprechenden Reaktion veranlasst. Im Falle des Hochleistungsweizens könnte dies an der veränderten Glutenzusammensetzung und den hohen ATI-Konzentrationen liegen, denn zahlreiche Patienten beschreiben eine Besserung ihrer Erkrankungen, nachdem sie in ihrem Speiseplan Weizen gegen alte Dinkelsorten ausgetauscht haben. Es stellt sich demnach die Frage, ob die durch hochgezüchtete Getreidesorten entstehenden Erkrankungen als Autoaggressionserkrankung richtig verstanden sind. Dieses Verständnis unterstellt dem Organismus eine Fehlfunktion. Möglicherweise handelt es sich aber nicht um eine Fehlfunktion, sondern  um eine gesunde Reaktion des Körpers, der versucht, schädliche Stoffe wie das veränderte Gluten und ein Übermaß an ATI zu eliminieren, dabei jedoch an seine Grenzen stößt und völlig überfordert wird. Ist das Immunsystem also nicht defekt, so könnte die Verwendung alter, züchterisch nicht veränderter Dinkelsorten Abhilfe schaffen, sodass die Patienten nicht lebenslang auf glutenhaltige Kost verzichten müssten.19

Alte Dinkelsorten hingegen verfügen über die ursprüngliche Glutenzusammensetzung. Ihr natürlicherweise vorhandener ATI-Gehalt ist so gering, dass das Immunsystem dadurch angeregt werden kann. Sie unterstützen also die kurative und protektive Wirkungsweise der sekundären Inhaltsstoffe. Dinkel ist demnach ein hervorragendes Nahrungs- und Heilmittel. 

Wichtig ist hier, dass alte, züchterisch nicht veränderte Dinkelsorten verwendet werden, da neue Sorten meist mit Weizen gekreuzt sind und entsprechende Weizenmerkmale aufweisen. Gluten und ATI sind in den neuen Züchtungen verändert, wie im Weizen auch. Zu den alten Sorten gehören beispielsweise Oberkulmer Rotkorn, Ostro, Bauländer Spelz oder Franckenkorn.20 
 
Hildegardsteine:
 
  
Druse
  
 
Hildegard hat Heilmittel aus den drei Naturreichen beschrieben. Dazu gehören Pflanzen, Tiere und Mineralien. Aus dem Reich der Mineralien stammen die Edelsteine. Heute oft belächelt, hat Hildegard doch die heilsame Wirkung einiger Edelsteine beschrieben. So verwendete sie beispielsweise Bergkristall bei Schilddrüsenbeschwerden und Jaspis bei Herzrhythmusstörungen oder auch bei Gallenbeschwerden. Chrysopras setzte Hildegard bei entzündlichen Gelenkerscheinungen ein und Chalcedon empfahl sie bei innerer Unruhe.21 

  

 

 

 

 

 

 

1     Vgl. R. Schmitz (1998), S. 108 f.

2     Vgl. C. Schubert / W. Leschhorn (2006), S. 179.

3     Vgl. K. E. Rothschuh (1978), S. 194–199.

4     Vgl. K. P. Jankrift (2007), S. 61–63.

5     Vgl. H. Schipperges (1993), S. 207.

6     Vgl. M. F. Bisping (2017), S. 26 f.

7     Vgl. [Hildegard] (1991), S. 7–8.

8     Vgl. B. Baumann / H. Baumann (2010), S. 24–38.

9     Vgl. W. Schneider (1974), Bd. 5,1 S. 74 f.; K. Hiller / M. Melzig (2003), Bd.2, S. 33 f. 

10    Vgl. W. Schneider (1974), Bd. 5,2 S. 243 f.; K. Hiller / M. Melzig (2003), Bd.2, S. 14.

11     Vgl. W. SCHNEIDER (1974), Bd. 5,3 S. 401–403; K. HILLER / M. MELZIG (2003), Bd.2, S. 393 f.

12    Vgl. W. U. Eckart (2009), S. 33–34; Ch. Hagenmeyer (1995), S. 17; H. Schipperges (1993), S. 186.

13    Vgl. M. F. Bisping (2017), S. 332. 

14    Vgl. U. Körber-Grohne, (1988), S. 68–86.

15    Vgl. [Hildegard] (1997), S. 45.

16    Vgl. [Hildegard] (1997), S. 41.

17   Vgl. M. F. Bisping (2017), S. 31–44.

18    Vgl. M. F. Bisping (2017), S. 448–461.

19    Vgl. M. F. Bisping (2017), S. 468–470.    

20    Vgl. M. F. Bisping (2017), S. 331.

21   Vgl. [Hildegard] (1997), S. 328 f., 314 f., 317–319, 316 f.

 

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