Therapiekonzept
Man geht davon aus, dass der Aderlass das körpereigene Selbstheilungssystem anregen kann, indem möglicherweise Hypothalamus, Hypophyse und Nebennierenrinde aktiviert werden. Der Hypothalamus ist ein Teil des Zwischenhirns und sitzt direkt über der Hypophyse. Er stellt das wichtigste Steuerzentrum des vegetativen Nervensystems dar.
Er ist u. a. für die Steuerung von Körpertemperatur und Blutdruck zuständig. Über ihn werden Nahrungs- und Wasseraufnahme reguliert, der Schlaf- Wachrhythmus sowie das Sexual- und Fortpflanzungsverhalten gesteuert. Zahlreiche im Hypothalamus gebildete Hormone beeinflussen in der Hypophyse die Ausschüttung weiterer Hormone und nehmen so Einfluss auf die Funktion von Schilddrüse, Nebennierenrinde, Eierstöcke sowie die Milchbildung in der Stillzeit. In der erbsengroßen Hypophyse, auch Hirnanhangsdrüse genannt, werden außerdem Endorphine, das sind körpereigene schmerzlindernde Stoffe, gebildet. Ebenfalls wird in der Hypophyse Oxytocin gebildet, das beim Geburtsvorgang wehenauslösend wirkt. Es kann ferner den Blutdruck und den Kortisonspiegel beeinflussen, die Wundheilung fördern und beruhigend wirken.
Möglicherweise können diese Zusammenhänge zwischen Hypothalamus, Hypophyse und Nebennierenrinde zahlreiche beobachtete Reaktionen nach einem Aderlass erklären. So kann sich beispielsweise eine Regulation des Blutdrucks einstellen. PatientInnen berichten beispielsweise von einem Wohlbefinden, vom Nachlassen ihrer Gelenkschmerzen, Verbesserung von Schlafstörungen oder depressiven Verstimmungen sowie der Linderung von Menstruationsbeschwerden und vieles mehr.
Wie wird nun ein Aderlass durchgeführt? Jeden Monat gibt es eine bestimmte Aderlass-Zeit. Das sind sechs Tage der abnehmenden Mondphase, vom Vollmondtag an gerechnet. Das hört sich vielleicht ein bisschen esoterisch an, man bedenke aber welch großen Einfluss der Mond auf die Erde hat. So sind Ebbe und Flut vom Mond abhängig. Zur richtigen Mondphase geschlagenes Bauholz ist absolut resistent gegen Ungeziefer und verzieht sich auch nach Jahren nicht durch Luftfeuchtigkeit. Auch Stradivari hat mondgeschlegelte Haselfichte für seine legendären Instrumente verwendet. Das Holz wird in der abnehmenden Mondphase geschlagen, weil sich dann die Säfte zurückziehen und sie vom Holz abgegeben werden.
Beim Aderlass geht es ebenfalls darum, schlechte Säfte aus dem Körper fließen zu lassen, um ihm die Gelegenheit zu geben, neue gute Säfte zu produzieren und schließlich ein gesundes Gleichgewicht im Körper herzustellen. Die Patientin oder der Patient legt sich gemütlich auf die Behandlungsliege. Es wird eine Kanüle in eine Vene in der Armbeuge gesetzt, so wie es beim Blutabnehmen auch der Fall ist. Das Blut wird jedoch nicht mittels Vakuum herausgezogen, sondern man lässt es über einen sterilen Schlauch in ein kleines Gefäß laufen. Zunächst zeigt sich sehr dunkles Blut, zuweilen ist es richtig schwarz. Schließlich erfolgt ein Farbumschlag zu hellrot. Dann wird der Aderlass sofort beendet. Das Phänomen des Farbumschlags konnte noch nicht wissenschaftlich erklärt werden. Möglicherweise spielen unterschiedliche Strömungsgeschwindigkeiten des dunklen und des hellen Blutes eine Rolle. Hildegard hat das dunkle Blut als ein von Schlackenstoffen behaftetes Blut beschrieben, während das helle Blut reineres Blut sei.
Beim blutigen Schröpfen soll durch Entziehen von Blut bzw. Schleim aus dem Bindegewebe – also nicht direkt aus dem Blutkreislauf, wie es beim Aderlass der Fall ist – das körpereigene Selbstheilungssystem angeregt werden. Auch hier können wir auf zahlreiche Beobachtungen und auf Berichte Betroffener zurückgreifen. Häufig berichten PatientInnen direkt nach der Behandlung von einem Gefühl des Wohlbefindens. Es wird eine Erleichterung bei Bronchialbeschwerden und asthmatischen Zuständen wahrgenommen. Ebenso wird häufig von einer Schmerzlinderung berichtet, seien sie durch rheumatische Beschwerden, Schulter-, Rücken- oder Knieleiden verursacht. Ebenso können sich in beeindruckender Weise depressive Verstimmungen, Müdigkeitszustände und die Auswirkungen eines grippalen Infektes spontan bessern. Ferner wird eine Besserung von Kopfschmerzen bzw. Migräne beobachtet.
Was passiert beim blutigen Schröpfen? Bestimmte Hautareale, sogenannte Headsche Zonen stehen mit inneren Organen in Verbindung. Es handelt sich um Reflexzonen, in denen Veränderungen feststellbar sind, wenn das dazu gehörige Organ erkrankt, oder seine Funktion gestört ist. Stellt man die Ordnung des Hautareals durch das Schröpfen wieder her, so kann auch eine Tiefenwirkung über sogenannte Reflexbögen erfolgen und eine Ordnung im dazu gehörenden Organbereich herstellen. An den Headschen Zonen ist häufig eine Belastung des Organs feststellbar, lange bevor es zu einem Organschaden kommt.
Wie geht man beim blutigen Schröpfen vor? Zunächst werden die entsprechenden Reflexzonen rechts und links der Wirbelsäule desinfiziert und mit einer dünnen, sterilen Kanüle ein wenig angeritzt. Anschließend werden sterile Einmal-Schröpfköpfe per Vakuumpumpe auf den Bereichen befestigt. Diese lässt man eine bestimmte Zeit vor Ort, um anschließend den angefüllten Schröpfkopf abzunehmen. Die kleine Wunde wird mit einem Pflaster mit Veilchencreme versorgt. Wie viel Schleim dabei heraustritt, ist individuell. Entsprechend gestalten sich die Zeitabstände zum wiederholten Schröpfen. Man kann nach 4 Wochen das blutige Schröpfen wiederholen. Die Abstände können sich auf 3 bis 6 Monate verlängern. Das hängt vom Genesungsfortschritt ab.
Das Heilfasten nach Hildegard diente der Entschlackung, wobei die anfallenden Schlacken über die Leber abgebaut und ausgeschieden werden sollten. Heilfasten stellte aber keine 'Nulldiät' dar; vielmehr galt es, während des Fastens wenig Dinkel und Gemüse in Form einer Fastenbrühe einzunehmen. Eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme musste gewährleistet sein.
Auch das Ausschwitzen von Schlacken ist ein Jahrtausende altes Ausleitungsverfahren. Dabei achtete man darauf, zwischen den Saunagängen angemessene Ruhephasen einzulegen und ausreichend Flüssigkeit zu sich zu nehmen.
In der diätetischen Therapie der Hildegard von Bingen, die keine Diät im heutigen Sinne, sondern eine andere, gesunde Art der Ernährung darstellt, galt es, die Gesundheit durch die Basisnahrungsmittel Dinkel, frisches Obst und Gemüse, ergänzt durch maßvollen Einsatz von Fleisch, Fisch und Milch bzw. Milchprodukten zu erhalten oder wiederzuerlangen.13
Hildegard sprach von der 'Viriditas’, der Grünkraft. Damit beschrieb sie die jeder Pflanze von Natur aus innewohnende Wirkkraft. Diese war in der Lage, dem menschlichen Körper die Grundbausteine zu liefern, die er zur Produktion von körpereigenen wichtigen Stoffen benötigte und um seine Zellen und Zellbestandteile optimal zu regenerieren. Hildegard warnte davor, Auszugsmehle zum Brotbacken zu verwenden, da es den Körper schwäche und kraftloser werden ließe.16
Dinkel und Weizen verfügen nicht nur über primäre Inhaltsstoffe wie Fett Eiweiß und Kohlenhydrate, sondern sie weisen ebenso zahlreiche sekundäre Inhaltsstoffe auf, für die inzwischen vielfältige heilende und vorbeugende Wirkungsweisen nachgewiesen wurden. So wirken sie beispielsweise antioxidativ, krebsvorbeugend, immunstimulierend, entzündungshemmend, antimikrobiell, fungizid und viruzid. Ferner können sie den Blutzuckerspiegel und den Cholesterinspiegel positiv beeinflussen.17
Das Problem beim heutigen Weizen ist aber, dass Weizen seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts massiv hochgezüchtet wird mit dem Ziel einer noch besseren Backfähigkeit und eines noch höheren Ertrags. Weltweit existieren inzwischen ca. 40.000 Weizensorten. Sie alle weisen eine züchterisch veränderte Glutenzusammensetzung auf, wodurch es zu massiven weizeninduzierten Erkrankungen kommen kann. Ferner ist der Gehalt an natürlicherweise vorhandenem Fraßschutzmittel (sie werden mit ATI abgekürzt) auf ein Vielfaches hineingezüchtet worden, wodurch das darmassoziierte Immunsystem völlig überfordert werden kann sodass schwerwiegende Erkrankungen, auch sogenannte Autoimmunerkrankungen ausgelöst werden können. Dazu gehören beispielsweise Allergie, Zöliakie sowie Nichtzöliakie-Nichtweizenallergie-Weizensensitivität, das mit NCGS abgekürzt wird. Hinter NCGS verbirgt sich ein großer Komplex an massiven Erkrankungen, die durch die hohe Konzentration des Insektenfraßschutzmittels (ATI) im hochgezüchteten Weizen entstehen können. Es können Magen-Darmbeschwerden, Asthma, Hautleiden, Blutarmut, Gewichtsverlust, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie Kopfschmerzen oder Müdigkeit auftreten. Darüber hinaus können weitere schwerwiegende Erkrankungen die Folge sein. So kann Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Multiple Sklerose oder Rheumatoide Arthritis auftreten, die alle als Autoimmunerkrankungen angesehen werden. Bereits bestehende Entzündungsprozesse können verstärkt werden. Ferner kann es zu peripheren Neuropathien, Depressionen, Angststörungen und Halluzinationen kommen. Einige Studien belegen inzwischen einen Zusammenhang zwischen der Entstehung oder Verstärkung von Schizophrenie und Autismus mit Weizenkonsum.18
Hier sollte überdacht werden, ob der Begriff der Autoimmunkrankheit an dieser Stelle richtig verwendet wird. Dem Immunsystem, eines der kompliziertesten, körpereigenen Schutzsysteme, obliegt die Aufgabe, körperfremde Stoffe zu erkennen und im Bedarfsfall Abwehrreaktionen zu aktivieren, um einen Schaden vom Körper abzuwenden. Autoimmunerkrankungen bezeichnet man auch als Autoaggressionskrankheiten. Das bedeutet, dass der Körper plötzlich gegen sich selber ‘rebelliert’ und beginnt, zerstörerisch tätig zu werden. Laut Lexikon der Biologie kommt es durch den Zusammenbruch der Immuntoleranz gegenüber körpereigenen Stoffen zu einer spezifischen, erworbenen Immunantwort gegen Autoantigene. Eine erworbene Immunantwort impliziert, dass ein Ereignis eingetreten ist, das den Körper zu einer entsprechenden Reaktion veranlasst. Im Falle des Hochleistungsweizens könnte dies an der veränderten Glutenzusammensetzung und den hohen ATI-Konzentrationen liegen, denn zahlreiche Patienten beschreiben eine Besserung ihrer Erkrankungen, nachdem sie in ihrem Speiseplan Weizen gegen alte Dinkelsorten ausgetauscht haben. Es stellt sich demnach die Frage, ob die durch hochgezüchtete Getreidesorten entstehenden Erkrankungen als Autoaggressionserkrankung richtig verstanden sind. Dieses Verständnis unterstellt dem Organismus eine Fehlfunktion. Möglicherweise handelt es sich aber nicht um eine Fehlfunktion, sondern um eine gesunde Reaktion des Körpers, der versucht, schädliche Stoffe wie das veränderte Gluten und ein Übermaß an ATI zu eliminieren, dabei jedoch an seine Grenzen stößt und völlig überfordert wird. Ist das Immunsystem also nicht defekt, so könnte die Verwendung alter, züchterisch nicht veränderter Dinkelsorten Abhilfe schaffen, sodass die Patienten nicht lebenslang auf glutenhaltige Kost verzichten müssten.19
Alte Dinkelsorten hingegen verfügen über die ursprüngliche Glutenzusammensetzung. Ihr natürlicherweise vorhandener ATI-Gehalt ist so gering, dass das Immunsystem dadurch angeregt werden kann. Sie unterstützen also die kurative und protektive Wirkungsweise der sekundären Inhaltsstoffe. Dinkel ist demnach ein hervorragendes Nahrungs- und Heilmittel.
1 Vgl. R. Schmitz (1998), S. 108 f.
2 Vgl. C. Schubert / W. Leschhorn (2006), S. 179.
3 Vgl. K. E. Rothschuh (1978), S. 194–199.
4 Vgl. K. P. Jankrift (2007), S. 61–63.
5 Vgl. H. Schipperges (1993), S. 207.
6 Vgl. M. F. Bisping (2017), S. 26 f.
7 Vgl. [Hildegard] (1991), S. 7–8.
8 Vgl. B. Baumann / H. Baumann (2010), S. 24–38.
9 Vgl. W. Schneider (1974), Bd. 5,1 S. 74 f.; K. Hiller / M. Melzig (2003), Bd.2, S. 33 f.
10 Vgl. W. Schneider (1974), Bd. 5,2 S. 243 f.; K. Hiller / M. Melzig (2003), Bd.2, S. 14.
11 Vgl. W. SCHNEIDER (1974), Bd. 5,3 S. 401–403; K. HILLER / M. MELZIG (2003), Bd.2, S. 393 f.
12 Vgl. W. U. Eckart (2009), S. 33–34; Ch. Hagenmeyer (1995), S. 17; H. Schipperges (1993), S. 186.
13 Vgl. M. F. Bisping (2017), S. 332.
14 Vgl. U. Körber-Grohne, (1988), S. 68–86.
15 Vgl. [Hildegard] (1997), S. 45.
16 Vgl. [Hildegard] (1997), S. 41.
17 Vgl. M. F. Bisping (2017), S. 31–44.
18 Vgl. M. F. Bisping (2017), S. 448–461.
19 Vgl. M. F. Bisping (2017), S. 468–470.
20 Vgl. M. F. Bisping (2017), S. 331.
21 Vgl. [Hildegard] (1997), S. 328 f., 314 f., 317–319, 316 f.